50 Jahre Parkstadion: Nasse Bratwurst, voller Tresor

Das Parkstadion wird 50 Jahre alt – und sorgt noch immer für kontroverse Diskussionen. Foto: Archiv

Das Gelsenkirchener Parkstadion wird in diesem Jahr 50 Jahre alt – und sorgt noch immer für kontroverse Diskussionen. Auch mehr als 90 Minuten lang unter Schalkern.

Der Ton ist rau, auf Schalke wird halt Klartext gesprochen. Also fängt sich der Besucher, der sich darüber beschwert, dass Erwin Kremers ein wenig leise „rüberkommt“, direkt den Konter einer ein paar Reihen vor ihm sitzenden Dame: „Knips‘ Dein Hörgerät an, dann kriegste auch watt mit!“

Erwin Kremers nimmt sein Mikrofon trotzdem ein wenig fester in die Hände, zieht es näher zu sich hin und sorgt mit einem Satz direkt mal für die Diskussionsgrundlage des Abends: „Dieses Stadion“, sagt der 74-Jährige, „war eine einzige Katastrophe!“

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Erwin Kremers: „Eine einzige Katastrophe“

Schalkes wohl prominentester Linksaußen ist einer der Gäste einer bemerkenswerten Veranstaltungsreihe, mit der es den Königsblauen gelingt, den Medienraum der Veltins-Arena regelmäßig zu füllen. „90 Minuten – ein Abend unter Schalkern“ ist allerdings nicht mehr als ein Arbeitstitel. In der Regel dauern die Talk-Runden vor den ca. 300 Besuchern deutlich länger, auch jetzt.

Thema ist das Parkstadion, das in diesem Jahr 50 Jahre alt wird. Generationen von Schalkern haben hier gejubelt, geweint, gezittert, getrauert, gelitten, gefroren, geschwitzt, geschimpft, gelacht. Ein Stadion, das voller Erinnerungen steckt. Ein Stadion, das auch reichlich Häme einstecken musste und das als „Betonschüssel“ noch eine der vornehmsten Titulierungen für sich verzeichnen kann.

Nun also Erwin Kremers. „Katastrophe“, sagt er. Von 1971 bis 1979 spielte er auf Schalke, sechs Jahre lang flitzte er also im Parkstadion die linke Seitenlinie rauf und runter. Zwei Jahre hat Kremers noch in der Glückauf-Kampfbahn gespielt, „und das auch viel lieber als im Parkstadion“. Kremers macht den Eindruck, als seien die S04-Profis und ihre Zuschauer 1973 aus einem schmucken Eigenheim ausquartiert und in einen anonymen Plattenbau zwangsversetzt worden. Und das trotz einer Rolltreppe, mit der die Spieler Richtung Platz und wieder zurück fahren konnten.

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Als Günter Siebert den Tresor nicht zubekam…

„Katastrophe!“. Das muss man erst mal sacken lassen. Erwin Kremers nennt die Gründe: „Selbst wenn es draußen 30 Grad waren, musste man auf der Tribüne eine dicke Jacke anhaben, weil es dort so gezogen hat. Und selbst wenn 30.000 Zuschauer da waren, konnte es sein, dass überhaupt keine Stimmung aufkam. Das war der Tod. In der Glückauf-Kampfbahn hat man zum Teil ja sogar gehört, was die Leute gesagt haben. Aber im Parkstadion mit dieser breiten Laufbahn zwischen Platz und Zuschauern war das dann alles ganz anders.“

Dabei war die für Leichtathletik-Veranstaltungen installierte Laufbahn überhaupt erst eine der Voraussetzungen dafür, dass Gelsenkirchen die Zuschüsse des Landes für den Bau des Stadions bekam, das dann eine der Spielstätten bei der Fußball-WM 1974 war. Mit einem Fassungsvermögen von 70.600 Zuschauern ermöglichte es Schalke den Sprung in ganz neue Dimensionen.

Und hier fällt dann auch Erwin Kremers doch noch eine liebevolle Anekdote zum Parkstadion ein. Nach einem der ersten Spiele dort wollten er und sein Zwillingsbruder Helmut nach Hause fahren, wurden aber von Präsident Günter „Oskar“ Siebert hektisch in dessen Büro gebeten: „Er ist mit uns sofort zum Tresor gelaufen. Der ließ sich wegen der Einnahmen aus dem Spiel kaum noch schließen. Helmut und ich mussten von außen gegen die Türen drücken.“

Schaurig-schöne Schüssel: Ein Stadion voller Erinnerungen

Das Parkstadion ist mit all den Geschichten und Erinnerungen vielleicht das architektonische Symbol für die Schalker Treue zur Tradition, die oft gleichgeschaltet wird mit dem Vorwurf, deswegen die Zukunft zu verschlafen. Dass das aber kein Widerspruch sein muss, bewies Rudi Assauer: Er war der Motor beim Bau des Nachfolge-Stadions und musste auch dabei reichlich Überzeugungsarbeit leisten.

Denn plötzlich regte sich Widerstand, wurde die vom Regen ständig aufgeweichte Bratwurst vom Ärgernis zum Kult und die zugige Tribüne zum sentimentalen Wohlfühl-Ort. Viele Schalker sahen in der Arena mit ihrer kompletten Überdachung und den Logen für Gutbetuchte das Ende der Fan-Kultur. Das Parkstadion wurde nun als zwar schaurige, aber auch schöne Schüssel verteidigt.

Natürlich setzte sich Assauer durch, „und das war auch alternativlos“, sagt Olaf Thon im Gespräch mit Moderator Jörg Seveneick. Thon hat auf Schalke im Parkstadion und ab 2001 auch in der Arena gespielt, „und für mich ist das Parkstadion das großartigste Stadion überhaupt“, schmunzelt der 56-Jährige. Kein Wunder. Am 2. Mai 1984, einen Tag nach seinem 18. Geburtstag, macht Thon hier „das beste Spiel meiner Karriere“.

Olaf Thon: „Das großartigste Stadion überhaupt“

Drei Tore erzielt er im DFB-Pokal-Halbfinale gegen die Bayern, die Besucher des 90-Minuten-Abends auf Schalke wählen diese Partie spontan zum größten Spiel, das jemals im Parkstadion stattgefunden hat. Bayern-Trainer Udo Lattek will den jungen Olaf Thon danach „am liebsten sofort nach München mitnehmen“, während Thon der Meinung ist, „dass ich meine Karriere nach diesem Spiel eigentlich hätte beenden sollen. Es konnte nicht mehr besser werden.“ Das sagt einer, der danach Weltmeister wurde, mit den Bayern drei Meisterschaften, mit Schalke den Uefa-Cup und zweimal den DFB-Pokal gewann.

Thon wurde nach dem 6:6 auf Fan-Händen vom Platz getragen, die Bilder gingen mindestens durch Fußball-Deutschland. Das Parkstadion hatte also durchaus auch stimmungstechnisch einiges zu bieten. Insofern war es vielleicht sogar irgendwie „ehrlicher“ als die Arena: Gute Leistungen, gute Stimmung. Schlechte Leistungen, keine Stimmung. So einfach war das.

Schiedsrichter Wiesel vor dem 6:6: „Komm, Olaf, ein Angriff noch!“

Erwin Kremers, Olaf Thon, der extra aus Schleswig-Holstein angereiste Michael „Magic“ Prus, Radioreporter Manfred Breuckmann – sie alle haben reichlich zu erzählen, jeder von ihnen hat das Parkstadion anders erlebt. Unterschiedliche Generationen, verschiedene Blickwinkel.
Mittlerweile hat Schalke mit dem umstrittenen Bau längst seinen Frieden gemacht: Das Parkstadion wurde zurückgebaut, ist mit einem Fassungsvermögen von knapp 3.000 Zuschauern die Spielstätte für die Knappenschmiede und für Testspiele der Profis.

Olaf Thon hat sich noch eine Zugabe aufgespart. „Viele der Geschichten“, gibt er augenzwinkernd zu, „werden im Laufe der Jahre ja immer mehr frisiert. Aber die hier hat sich genauso zugetragen…“ Schiedsrichter Wolf-Günter Wiesel habe ihn im legendären Spiel gegen die Bayern beim Stand von 5:6 in der Verlängerung motiviert: „Komm, Olaf, ein Angriff noch!“ Thon traf zum 6:6. „So etwas wäre heute unvorstellbar“, weiß Olaf Thon.

50 Jahre Parkstadion. Reichlich interessanter Gesprächsstoff. Hoffentlich waren alle Hörgeräte angeknipst.

Norbert Neubaum