Gefühlter Sieger: Karaman köpft Schalke ins Derby-Glück

Viel Rauch um nichts? Von wegen: Die Zuschauer in der ausverkaufen Veltins-Arena sahen ein hochinteressantes und spannendes Derby. Foto: Boris Spernol

Das 100. Revier-Derby in der Bundesliga endete zwar unentschieden (2:2), aber Schalke darf sich trotzdem als gefühlter Sieger fühlen. „Und das völlig zurecht“, wie selbst Dortmunds Verteidiger Nico Schlotterbeck zugab, „nach dem Spielverlauf…“

Es gibt Spieler, die schreiben auf Schalke alleine wegen ihrer Derby-Historie Geschichte. Spontan fallen die Namen Bent Christensen und Marco Höger ein, seit Samstagabend darf sich auch Kenan Karaman in diese Liste einreihen. Bislang eher glückloser Einwechselspieler sorgte der auch gegen Dortmund erst Mitte der zweiten Halbzeit ins Spiel gekommene Karaman mit einem feinen Kopfball in der 79. Minute nach feiner Flanke von Marius Bülter für den 2:2-Endstand – und entsprechende Schalker Glücksmomente.

Schalke seit sieben Spielen ungeschlagen

Dass die Königsblauen, die damit seit sieben Spielen ungeschlagen sind und im Kampf um den Klassenerhalt nun weiter dick im Geschäft sind, die überhaupt erleben durften, damit war lange nicht unbedingt zu rechnen. Denn realistisch gesehen hätte der BVB den Deckel schon in der ersten Spielhälfte draufmachen können. Nachdem sich der Tabellenzweite, der wie Schalke auf zahlreiche Stammkräfte verzichten musste, nach den ersten stressigen Anfangsminuten aus dem Schalker Pressing befreit hatte, ließ die Mannschaft von Trainer Edin Terzic phasenweise ihre Klasse aufblitzen.

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Die Dortmunder kombinierten sich munter durch die Schalker Defensivreihen und hatten durch Ryerson, Malen, Wolf und Bellingham gute Chancen – allein der jeweils gut parierende Ralf Fährmann hielt Schalke in dieser Phase im Spiel. Die größte Chance hatten trotzdem die Königsblauen: Mats Hummels vertändelte einen Ball, Rodrigo Zalazar zog auf und davon, sein Torschuss gehörte dann aber in die Rubrik „missglückt“ (24.).

Dortmund geht zweimal in Führung

Im Gegensatz zum Versuch von Schlotterbeck: Der pfiff auf die feinen Dortmunder Strafraum-Kombinationen und schoss lieber selbst aus 17 Metern aufs Tor – eine gute Idee. Denn damit hatte Schalke nicht gerechnet, Yoshida griff nur halbherzig an und Fährmann sah den Ball zu spät, um noch eine Chance zu haben (38.).

Dortmunds Halbzeit-Führung, diese Erkenntnis darf auch der Blick durch die königsblaue Brille nicht trüben, ging schon in Ordnung. Aber es war eben nur ein Tor Unterschied, und gerade gegen den BVB hat Schalke ja bekanntlich schon ganz andere Dinge gedreht…

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Klar war aber auch, dass Schalke in dem hochinteressanten und fairen Derby nur dann eine Chance haben würde, wenn der BVB in seiner Konzentration nachlassen würde. So wie in der 50. Minute. Dortmunder Ballverlust im Mittelfeld, perfektes Schalker Umschaltspiel über Krauß, Zalazar, Frey und Endstation Bülter – der erzielte mit dem 1:1 sein drittes Tor im dritten Spiel hintereinander.

Bülter trifft zum 1:1 und bereitet Ausgleich vor

Ging da also doch noch was gegen den BVB, der ja noch den Nackenschlag des Champions-League-Aus in Chelsea im Gepräck hatte? Schalkes Fans witterten Morgenluft, genau wie die Mannschaft, sie trieben ihr Team unermüdlich an. Aber zunächst mussten die Königsblauen erst einmal wieder sportliche Realitäten anerkennen. Die besagen, dass der BVB insgesamt natürlich spielstärker ist, aber nur, wenn er das auch zeigt. Feine Kombination über Can und Guerreiro, der mit einem perfekten Schuss das 2:1 für die Gäste erzielte (60.). Und wer weiß, wie das Derby geendet wäre, hätte Bynoe-Gittens fünf Minuten später nach einer ähnlichen Kombination genauso gut gezielt wie sein Kollege – aber nun ging der Ball daneben und Schalke war weiter im Spiel.

S04-Trainer Thomas Reis wechselte nun munter durch, wollte noch einmal einen „Ruck“ in seiner Mannschaft erzeugen. Der Plan ging auf. Wieder agierte der BVB eine Spur zu selbstsicher, und sofort waren die Blau-Weißen wieder da. Flanke Bülter, Kopfball Karaman, 2:2. „Mein erstes Tor für Schalke, und dann gleich im Derby“, strahlte der Derby-Held, „ich wollte nach meiner Einwechslung unbedingt etwas bewegen“.

Tragen die Fans Schalke zum Klassenerhalt? Bülter: Ja!

Auch Marius Bülter darf sich mit einem Tor und seiner Vorlage natürlich Derby-Held nennen, aber er war ja schon vorher mehrfach positiv aufgefallen. „Drei, vier Dinge in der Halbzeit“. so Bülter, habe man angesprochen, zum Beispiel, „dass wir mehr Druck nach vorn machen müssen“. Das perfekte Zusammenspiel zwischen Publikum und Mannschaft ist für Bülter auch ein Garant dafür, dass Schalke den Klassenkampf erfolgreich bewältigt. Auf die Frage, ob die Fans Schalke zum Klassenerhalt tragen, antwortete Bülter bei „Sky“ nur kurz und knapp: „Ja!“

Schalke ist nach diesem Unentschieden gefühlter Derby-Sieger, das ließ auch die Reaktion von BVB-Trainer Edin Terzic erahnen. Sichtlich angefressen reagierte er schmallippig auf die Frage, warum es trotz zweifacher Führung beim Tabellen-Schlusslicht (das war Schalke vor dem Spiel) nicht zu einem Sieg gereicht habe: „Das werde ich mit der Mannschaft intern besprechen.“ Allzu zornig sollte Terzic nicht sein: Balanta hätte, nachdem Matriciani mit einer Monster-Grätsche Schlimmeres für Schalke verhindert hatte, kurz vor Schluss fast noch das 3:2 für das Kellerkind erzielt. Aber das wäre wohl des Guten zuviel gewesen…

Eine Nachricht, die beide Klubs freuen wird: Rund um das Hochrisiko-Spiel blieb es wohl relativ ruhig – Stand Samstagabend 20.50 Uhr. Vor dem Spiel wurde allerdings ein Fotograf von einem Bengalo getroffen, seine Jacke soll Feuer gefangen haben.

Norbert Neubaum