Immer wieder ein Experiment

Immer wieder ein Experiment

Am Musiktheater im Revier bringt Christopher Brügel die Ideen der Kostümbildner auf die Bühne. „Manchmal funktioniert es, manchmal nicht“, sagt der Damengewandmeister. „Gescheitert bin ich noch nie.“ Ein Porträt.
Am Musiktheater im Revier bringt Christopher Brügel die Ideen der Kostümbildner auf die Bühne. „Manchmal funktioniert es, manchmal nicht“, sagt der Damengewandmeister. „Gescheitert bin ich noch nie.“ Ein Porträt.

Bei der Arbeit: Christopher Prügel nimmt letzte Änderungen an einem Kostüm für die Produktion „Amphitryon“ nach Heinrich von Kleist vor; FOTO: ANDRÉ PRZYBYL

Acht Kilo wiegt allein der Rock des Kostüms, mit dem Puppenspielerin Johanna Kunze gerade vom Balkon des Musiktheaters im Revier tritt. „Gleich bist du erlöst“, sagt Christopher Brügel und steckt letzte Änderungen an der Kreation aus schwarzem Lack und apricot-farbenem Kunstleder ab – von Kostümbildner Amit Epstein für das Stück „Amphitryon“ entworfen. Die Angesprochene atmet tief durch. „Kein Problem, schließlich muss ich das Kostüm auch auf der Bühne tragen.“
Für Christopher Brügel machen Kleider Leute. „Die Kleidung ist wie eine Hülle“, sagt er. „Hinter der sich Menschen verstecken oder mit der sie sich zeigen.“ Im Gelsenkirchener Musiktheater im Revier (MiR) macht er die „Hülle“, setzt als Damengewandmeister die Ideen der Kostümbildner um.
Schneiderlehre, Geselle, Meister und dann nochmal die Schulbank drücken. „Das ist der klassische Weg, Damengewandmeister zu werden“, erklärt er. „Den habe ich nicht eingeschlagen.“ Er studiert stattdessen Design, spezialisiert sich im Hauptstudium auf Mode und macht sein Diplom. „Allein Kleider zu entwerfen, hat mir aber nicht gereicht“, berichtet er. „Ich wollte handwerklich und technisch arbeiten – deshalb habe ich noch eine Ausbildung zum Schnitt-Techniker draufgesattelt.“

Das künstlerische liegt in der Familie

Durch Zufall entdeckt er seine Liebe zum Design. „Ich komme aus einer künstlerischen Familie“, erzählt er. „Mein Vater war Kunstprofessor und auch meine Mutter sowie Schwestern arbeiten in der Branche.“ Mit 18 Jahren besucht er eine Ausstellung des Lichtdesigners Ingo Maurer. „Ich fand den Weg von der Idee bis zur Umsetzung total spannend.“ Er widmet sich zunächst dem Produktdesign, macht Grafik und „ein bisschen freie Kunst“ – bis es dann die Mode wird. Während seines Studiums absolviert er Praktika bei namhaften Modelabels. „Ich war bei Joop, Liebeskind und dem relativ jungen Designer Kilian Kerner“, erzählt er. Doch er merkt schnell, dass das nicht seine Welt ist. „Ich war nicht frei, habe nur nach Vorgaben gearbeitet und diese lediglich umgesetzt.“ Das gehört zwar ebenfalls zu seinen Aufgaben in Gelsenkirchen. „Hier habe ich jedoch die Möglichkeit, künstlerisch Einfluss auf den Entwurf zu nehmen.“
Der Zufall ist es auch, der Christopher Brügel zum Musiktheater im Revier führt. „Ich habe zunächst eine Mitarbeiterin vertreten, die im Mutterschutz war“, erinnert er sich. „Die ist dann nicht wiedergekommen und ich bin geblieben.“ Für ihn ist die Arbeit am MiR eine gute Schnittstelle zwischen Mode, Kostüm und Kreativität. „Es ist schon sehr experimentell ohne dabei kommerziell zu sein – die Modeindustrie bietet nicht solche Möglichkeiten.“
Kleider entwirft er am Musiktheater nicht – dafür sind die Kostümbildner zuständig. „Wir stehen beratend zur Seite“, sagt er. „Wenn ein Kleid zum Beispiel im Stil der 1920er-Jahre sein soll, machen wir Vorschläge zum Stoff, zur Verarbeitung und zum Schnitt – so wirkt es authentisch.“ Manchmal kommt auch ein wilder Mix aus Moderne und Historie heraus. Das findet er spannend. „Die Modeindustrie bedient sich schließlich auch aus allen möglichen Stilrichtungen“, sagt er. „Man kann heutzutage nichts mehr neu erfinden, es war alles schon da – man kann es nur anders kombinieren.“

Unterschiedliche Arbeitstage

Sein Arbeitsalltag? „Immer unterschiedlich“, erklärt er. „Zunächst besprechen wir eine Produktion, dann werden die Kleider gefertigt und während der Proben manchmal überarbeitet – wenn ein Kleid zum Beispiel nicht passt oder sich als unpraktisch für die Aufführung erweist.“ Nach der Premiere hört seine Arbeit zumeist auf. „Während der Vorstellungen sind die Ankleider dafür zuständig, die Kostüme anzupassen oder auszubessern“, erklärt Christopher Brügel.
Eine Kreation aus der Operette „Die Fledermaus“ ist ihm besonders im Gedächtnis geblieben. „Das war ein ganz tolles silbernes Stretchkleid nach dem Modeschöpfer Azzedine Alaïa.“ Das kopiert er seinerzeit. „Es war kompliziert, hat aber viel Spaß gemacht.“
Auch die Kostüme für die aktuelle Produktion „Amphitryon“ nach Heinrich von Kleist sind eine Herausforderung. „Ich hatte nur ein Foto von einem Couture-Kleid, das es dann umzusetzen galt.“ Er muss die passenden Materialien finden, muss die Form nachahmen. „Manchmal funktioniert es, manchmal nicht – es ist ein Experiment“, berichtet er. „Gescheitert bin ich noch nie.“ Es freut ihn, wenn er ein Projekt abgeschlossen hat. „Ich bin aber auch froh, das Kleid nicht mehr sehen zu müssen.“ Er lacht.
Seit zehn Jahren ist Christopher Brügel mittlerweile am Gelsenkirchener Musiktheater. „Dass es so lange wird, hätte ich nicht gedacht.“ Zwischenzeitlich spielt er mit dem Gedanken, sein eigenes Modelabel zu gründen. „Ich habe mich dann aber dagegen entschieden.“ Zu viel Risiko birgt ein solcher Schritt für ihn. „Wenn ich ein handgefertigtes Kleid nach meinen Entwürfen schneidere, kostet das 400 Euro“, sagt er. „Im Laden gibt es das für 15 Euro.“ Er glaubt, „dass die Menschen nicht mehr bereit sind, soviel Geld auszugeben“.
Privat schneidert Christopher Brügel nur wenige Kleider. „Ich habe früher für meine Familie genäht und zwei Brautkleider entworfen“, berichtet er. „Das mache ich aber nicht gerne.“ Er selbst flickt seine Kleidung, anstatt sie wegzuwerfen. „Das sollten mehr Menschen machen“, findet er.
André Przybyl