„Wir müssen das Publikum umarmen“
Er tanzt für die Königin von Thailand und im fernen Neuseeland, erhält den Theaterpreis „Faust“ als bester Tänzer. Doch dann ist Schluss – und Guiseppe Spota startet eine zweite Karriere als Choreograf. Seit der Spielzeit 2019/2020 leitet er die Gelsenkirchener MiR Dance Company. Ein Porträt.
Zwölf Jahre lang ist Tanzen sein Leben. Doch dann entschließt sich Giuseppe Spota, „nie wieder zu tanzen“ – und widmet sich ganz der Choreografie. Heute ist er Direktor der Gelsenkirchener MiR Dance Company.
Giuseppe Spota erblickt im süditalienischen Bari das Licht der Welt. Schon als Kind merkt er, dass Tanzen ein Teil von ihm ist: „Ich wollte unaufhörlich Musik hören und mich dazu bewegen.“ Er hat Talent – „Ich habe immer den Rhythmus gehalten“ – und auch das nötige Durchhaltevermögen. „Tänzer zu sein ist hart“, sagt er. „Tanzen muss dein Lebenselixier sein, um deinen Traum verwirklichen zu können.“
Vom erfolgreichen Tänzer zum Choreografen
Er schafft es und wird mit 18 Jahren Profitänzer beim Balletto di Roma. „Ich hatte das Glück, überall in Italien aufzutreten“, erzählt er. „In den Theatern in Venedig und Verona habe ich getanzt – das war ein Luxus.“ Nach zwei Jahren wechselt er 2004 zum Aterballetto, einer renommierten Kompanie in Italien. „Wir sind durch die ganze Welt gereist“, berichtet er. „Selbst in Neuseeland sind wir aufgetreten – dort werde ich wahrscheinlich kein zweites Mal auf der Bühne stehen …“ Diese Zeit prägt ihn: „Ich bin sehr schnell an den Herausforderungen gewachsen – vielleicht zu schnell.“
Im Jahr 2009 verlässt Giuseppe Spota seine Heimat Italien, um eine „Reise“ durch Deutschland anzutreten: Zunächst tanzt er in Stuttgart, später als Solist in Wiesbaden. „Das war ein großer Schritt in meiner Karriere.“ Für seine Rolle im Ballett „Blaubarts Geheimnis“ von Choreograf Stephan Thoss erhält er den Theaterpreis „Der Faust“ als bester Tänzer. „Die Auszeichnung hat mir Genugtuung verschafft“, sagt er heute. „Denn zu Beginn meiner Profilaufbahn prophezeiten mir viele, dass ich niemals ein guter Tänzer werde.“ In der hessischen Landeshauptstadt beginnt er auch seine zweite Karriere als Choreograf. Mit seiner ersten Schöpfung „Un/attainable“ gewinnt er im Jahr 2011 den zweiten Platz beim Internationalen Wettbewerb für Choreographen in Hannover.
Mit 30 Jahren verlässt er Wiesbaden. „Seinerzeit hat Stephan Thoss dort aufgehört und ich wollte nicht unter einem neuen Direktor tanzen.“ Er entschließt sich, als freier Choreograf zu arbeiten. „Das war, als würde ich in einen leeren Pool springen.“ Doch er schafft es, Fuß zu fassen. „Ich habe in Mainz, Regensburg und für das Aterballetto gearbeitet“, erinnert er sich. „Ich wurde ein gefragter Choreograf, während ich immer weniger selbst tanzte.“ Er hängt seine Tanzschuhe an den Nagel. „Ich werde nie wieder tanzen“, sagt er sich seinerzeit. Zwölf Jahre als Profi hätten ihn erschöpft.
Bis heute vermisst er es nicht, vor Publikum zu stehen. „Manchmal vermisse ich jedoch das Gefühl, eine Inszenierung auf der Bühne zu zeigen.“ Für kurze Aufführungen oder einen Videodreh schlüpft er hin und wieder in seine alte Rolle. „Als Tänzer werde ich allerdings nicht mehr auf die Bühne zurückkehren“, sagt er. „Dort bin ich durch mein Ensemble.“
„Im MiR habe ich mich sofort Zuhause gefühlt“
Im Jahr 2016 holt ihn Stephan Thoss ans Nationaltheater Mannheim, wo er als Thoss’ Assistent und Hauschoreograf arbeitet. Nach drei Jahren wechselt Giuseppe Spota nach Gelsenkirchen. „Damals hatte ich noch ein Angebot von einem anderen Theater“, erinnert er sich. „Doch im Musiktheater im Revier (MiR) habe ich mich sofort Zuhause gefühlt, ich mochte die Menschen und die familiäre Atmosphäre.“ Seit der Spielzeit 2019/2020 leitet er die MiR Dance Company.
Von den Erfolgen seiner Vorgängerin Bridget Breiner, die während ihrer Zeit in Gelsenkirchen zwei Mal den „Faust“ gewinnt, lässt er sich nicht beeindrucken. „Es wäre der falsche Weg, mich mit ihr zu vergleichen“, sagt er. „Ich möchte dem Publikum gegenüber ehrlich sein und mich so zeigen, wie ich bin.“ Beide kennen sich aus früheren Tagen. „Als ich 25 war, habe ich sie einmal getroffen – sie war damals Primaballerina in Stuttgart, ich einfacher Tänzer“, erzählt er. „Als sie später erfuhr, dass ich ihre Nachfolge in Gelsenkirchen antreten werde, hat sie sich sehr für mich gefreut.“
Während seiner ersten Spielzeit am MiR setzt Corona dem kulturellen Leben ein jähes Ende. „Es ist eigentlich unmöglich, eine Choreografie zu machen, wenn die Tänzerinnen und Tänzer fünf Meter Abstand zueinander halten müssen“, sagt er. „Doch wenn uns die Pandemie eines gelehrt hat, dann, dass es immer eine Lösung gibt.“ Das Ensemble probt in einer Schule in Scholven. „Diese hat ein sehr großes Foyer, in dem wir den nötigen Abstand einhalten konnten.“ In dieser Zeit kreiert er Stücke wie „Notre Dame“ oder „L’Orfeo“, in dem die Tänzerinnen und Tänzer mit Maske auftreten. „Ich wollte meinem Ensemble jeden Tag ein Ziel geben, auf das es hinarbeiten kann.“
Nähe zum Publikum ist besonders wichtig
Im Laufe seiner Karriere hat sich das Tanztheater verändert. „Das Publikum kann mehr Aufführungen als früher sehen und steht den Stücken kritischer gegenüber.“ Vor Jahren hätten sich Theaterbesucher damit zufrieden gegeben, einfach eine Aufführung zu sehen. „Die Künstlerinnen und Künstler auf der Bühne waren unnahbar.“ Heute gelte es, Barrieren abzubauen. „Wir müssen auf die Zuschauerinnen und Zuschauer zugehen, sie umarmen und ihnen erklären, was wir machen – erst dann können sie wirklich anerkennen, was sie dort sehen.“
Dem Wutanfall von Choreograf Marco Goecke steht Giuseppe Spota zwiespältig gegenüber. Im Februar hatte Goecke einer Kritikerin aus Ärger über ihre Texte vermeintlich Hundekot ins Gesicht geschmiert. Er entschuldigte sich im Nachhinein für sein Verhalten, wurde jedoch als Ballettdirektor an der Staatsoper Hannover abgesetzt. „Ein Choreograf zeigt in seiner Arbeit auch immer sich selbst – eine negative Kritik kann dich somit zutiefst verletzen“, erklärt er. „Das soll nicht entschuldigen, was Marco Goecke getan hat – er ist zu weit gegangen.“ Doch es zeige, wie tief die Kritik Goecke getroffen habe. „Ich hoffe, niemals zu diesem Punkt zu kommen.“
Heute ist Giuseppe Spota 39 Jahre alt. Bis 2028, bis dahin läuft der Vertrag von Intendant Michael Schulz, will er mindestens in Gelsenkirchen bleiben. „Gestern habe ich mit einer neuen Tänzerin unserer Dance Company telefoniert, die aus Indien kommt“, berichtet er. „Sie sagte mir, ich habe ihr Leben verändert – es sei ihr innigster Wunsch gewesen, in Europa zu tanzen.“ Diesen Menschen könne er nicht einfach den Rücken zukehren, um etwas anderes zu machen. „Ich fühle mich für meine Tänzerinnen und Tänzer verantwortlich – wir haben hier gemeinsam etwas aufgebaut.“
Gerne erinnert er sich an viele unvergessliche Momente in seiner Karriere zurück. „Als wir für die Königin von Thailand tanzten, ist mir ebenso im Gedächtnis geblieben, wie eine kleine Aufführung auf einer Straße in Italien“, erzählt er. „Jeder Moment in deinem Leben kann besonders sein – es kommt nur darauf an, wie du damit umgehst.“ Ohnehin arbeite er in einem Beruf, in dem jeder Tag unvorhersehbar und besonders sei, sagt er und lächelt.