„Zum Kämpfen geboren“: Die Gastronomie in der Pandemie

„Die Umsatzausfälle kannst du nie wieder reinholen“: Christoph Klug. Foto: André Przybyl

Corona hält die Gastronomie im Würgegriff. Drei Wirte aus Buer berichten – von fehlenden Perspektiven, Existenzängsten und der Hoffnung auf bessere Zeiten.

Christoph Klug ist genervt. „Es fühlt sich an, als hänge ich in der Luft“, sagt er. „Ich würde gerne arbeiten – darf aber nicht.“ Klug hat drei Läden in Buer: Seit 2006 leitet er das Lokal ohne Namen – besser als Fuck bekannt. „Ich war schon zuvor Dauergast, habe dort als Student gekellnert.“ Als der Vorbesitzer aufhört und die Kultkneipe dicht gemacht werden soll, ergreift er die Initiative. „Ich wollte nicht, dass mein Wohnzimmer geschlossen wird.“ 2014 kommt das Domgold hinzu.

„Eine haarige Nummer“

Neu in dem Trio ist das LOL Deli gegenüber der Kirche St. Urbanus. „Im Juli 2020 war der Mietvertrag unterschrieben, eigentlich wollten wir Ende Oktober eröffnen.“ Doch dann wird der Lockdown Light verkündet. „Ok, dann machen wir für vier Wochen zu“, denkt er sich seinerzeit. Mittlerweile sind es sechs Monate. „Das ist schon eine haarige Nummer.“

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Mit kreativen Ideen versucht er durch die Corona-Pandemie zu kommen. „Wir haben einen eigenen Wein herausgebracht – den GrauBUERgunder“, erzählt Christoph Klug. „Der wird auch sehr gut angenommen.“ Ein Rosé mit dem Namen „KeinBUERgunder“ soll folgen. Außerdem ruft er im Fuck eine Aktion ins Leben, bei der Gäste Bier in Flaschen kaufen können. „Für jede Flasche konnten sie einen Strich an einer Tafel machen“, erzählt Klug. „Die ist jetzt voll.“ Ferner gründet er die Firma Kiezliebe, über die er Merchandising-Artikel von seinen drei Lokalen vertreibt.

„Der Gewinn geht gegen Null“

Alles gut und schön. „Doch die Umsatzausfälle kannst du nie wieder reinholen“, sagt er. „Allein, was wir an Ware wegwerfen mussten…“ Die staatlichen Hilfen kommen zwar an. „Aber immer sehr spät.“ Auch das nervt ihn. Seine drei Festangestellten sind in Kurzarbeit, die 30 Aushilfen müssen sich anderweitig umschauen. „Die Mini-Jobber werden von der Politik total vergessen“, berichtet Klug. „Die bekommen keinerlei Förderung.“

Aktuell macht er gerade Mal zehn Prozent von dem Umsatz, den er eigentlich bräuchte. „Der Gewinn geht gegen Null.“ Doch die Mieten laufen weiter. „Wir haben den Antrag auf Überbrückungshilfe III gestellt“, führt er weiter aus. „Damit wären zumindest 90 Prozent der laufenden Kosten gedeckt.“ Die übrigen zehn Prozent muss er selbst schultern. „Und dann habe ich noch keinen Cent verdient.“

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Angst um die Existenz

Vor der Pandemie war er schuldenfrei. „Jetzt musste ich drei KfW-Kredite aufnehmen, um über die Runden zu kommen“, sagt er. „Und das aus einer Situation heraus, für die ich nichts kann.“ Das Ergebnis: „Im Moment zahle ich jeden Monat einen vierstelligen Betrag drauf.“

Auch auf sein Privatleben wirkt sich die Situation aus. „Ich habe durchaus Angst um meine Existenz.“ Früher hat er positiven Stress bei der Arbeit. „Jetzt weiß ich nicht, wie es weitergeht – da werde ich schon mal dünnhäutiger als gewöhnlich.“ Er hat noch einen Nebenjob, bei dem Geld reinkommt, und auch seine Frau ist berufstätig – „Gott sei Dank“.

Keine Option mit Test und Termin

Von der Politik vermisst er eine klare Perspektive. „Über uns wird gar nicht mehr gesprochen“, erklärt er. „Es ist keine Option, wenn wir ab einem stabilen Inzidenzwert von unter 100 die Leute mit Test und Termin in die Außengastronomie lassen dürfen.“ Das sei viel zu wenig. „Lass uns wirklich mal konkret werden“, fordert er. „Selbst wenn die Perspektive lautet, dass wir sechs weitere Monate geschlossen bleiben – dann ist wenigstens die fortwährende Unsicherheit vorbei.“

In diesem Jahr steht für ihn ein Jubiläum an: Das Fuck wird 50. „Das wollten wir eigentlich groß feiern“, erzählt Klug. „Konzerte waren geplant – ich hatte schon die Spider Murphy Gang angefragt.“ Doch daraus wird nichts. „Dann feiern wir eben im nächsten Jahr nach – das geht ja vielen so.“

„Wir werden am Start sein“

Es sind die zahlreichen schönen Momente, die ihn dazu motivieren, durchzuhalten. „Wenn ich an die WM 2006 denke“, erinnert er sich. „Besucher aus der ganzen Welt sind nach Buer gekommen – das war toll.“ Er ist ein „sehr positiver Mensch“ und will durchhalten. „Ich glaube, dass im März kommenden Jahres die Pandemie wieder Normalität in der Gastronomie zulässt“, prognostiziert er. „Und wir werden am Start sein.“

„Ich kann es mir leisten, meine Angestellten weiterzubezahlen“: Peter Wendt. Foto: André Przybyl

Gute Stimmung herrscht derweil im Fliegenpils. „Komm‘ rein“, ruft Peter Wendt. „Willst du einen Kaffee?“ Seit 1994 führt er die Sportsbar. „Vorher hatte ich die Rappelkiste – 200 Meter Luftlinie von hier.“ Er zeigt nach Draußen. „Die ist einem großen Bauvorhaben zum Opfer gefallen.“

Sein Beruf erfüllt ihn. „Auch nach all den Jahres ist es für mich noch immer schön, hier rein zu kommen.“ Seine Augen leuchten. „Die Gastronomie hat mir so viele tolle Kontakte gebracht“, erzählt er, „und mir auch einen gewissen Wohlstand beschert.“ Die Kneipe ist sein Eigentum, seine Wohnung schräg darüber gehört ihm ebenfalls.

Größter Abnehmer nach der Arena

In der Pandemie hat er großes Glück. „Das Fliegenpils ist immer gut gelaufen.“ In normalen Jahren fließt hier das Bier in Strömen. „Ein Vertreter der Brauerei hat mir erzählt, dass ich nach der Arena der größte Abnehmer im Ruhrgebiet bin“, sagt Wendt. „Das ist der Hammer.“ Dementsprechend waren die November- und Dezemberhilfen „exorbitant gut“. „Neben den ganzen Zuwendungen von Vater Staat hat auch meine Versicherung anstandslos gezahlt.“ Fast 29.000 Euro hat er bekommen – das deckt einen „Riesenbereich“ seiner Kosten. „Ich kann es mir leisten, meine Angestellten weiter zu bezahlen“, erzählt er. „Das zieh ich durch, solange bis die letzte Schraube verbraucht ist.“ Insgesamt 6.000 Euro zahlt er monatlich für seine 450-Euro-Kräfte – allesamt Studenten. „Die haben schließlich auch ihre Kosten.“ Festangestellte beschäftigt er nicht.

Doch zahlreiche Gastronomen sind nicht auf der Sonnenseite. „Es gibt ganz schön viele, bei denen die Versicherung nicht zahlt“, so  Wendt. „Mein größtes Hobby ist zurzeit, denen zu helfen.“ Von einer Versicherung weiß er, „dass sie einige Versicherte entschädigt hat“. „Andere sind leer ausgegangen – trotz gleicher Konditionen.“ Er schreibt Briefe an den Vorstand der Versicherung mit der Bitte, dieses Vorgehen zu erklären. „Die verweisen nur an ihre Schadensabteilung“, sagt Peter Wendt. „Und dort wird erklärt, dass es sich um Einzelfallentscheidungen handele – mehr könne man mir aufgrund des Datenschutzes nicht sagen.“ Nun hat er den Justizminister angeschrieben. „Ich hoffe auf sein Gerechtigkeitsempfingen“, erklärt er. „Schließlich sollte bei einer Versichertengemeinschaft das Solidarprinzip gelten – alle zahlen in einen Topf für den Fall der Fälle ein.“

„Nicht mehr als Beschäftigungstherapie“

Vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) ist er enttäuscht. „Die jammern nur im Frühstücksfernsehen, dass Betriebe dicht machen.“ Er würde sich von dem Dachverband ein Forum wünschen. „In dem könnten die Mitglieder ihre Erfahrungen austauschen – auch zu Versicherungen.“ Er ist aus der Dehoga ausgetreten.

Auch wenn es ihm vergleichsweise gut geht: „Mit den ganzen Hygienevorschriften kannst du nicht ansatzweise den Ertrag erwirtschaften, den du vorher hattest.“ Vor der Pandemie kommen im Fliegenpils manchmal 130 Leute zusammen. „Laut Vorschrift dürfte ich nun maximal 40 reinlassen.“ Unter diesen Bedingungen ist an wirtschaftliches Arbeiten nicht zu denken. „Das ist nicht mehr als Beschäftigungstherapie für mein Personal und mich.“

„Kommunalpolitik verwaltet nur“

Für ihn hat sich die Politik in der Pandemie vom Volk entfernt. „Es ist ein Ping-Pong-Spiel“, sagt er. „Wenn etwas nicht klappt, versuchen wir halt etwas anderes.“ Auch die Kommunalpolitik würde nur verwalten anstatt zu gestalten. „In Gelsenkirchen würde ich mir ein ähnliches Engagement wünschen wie in Rostock oder Tübingen, wo die Bürgermeister das Heft des Handelns in die Hand nehmen und eigene Wege gehen.“ Neben Corona kommt für Peter Wendt nun auch noch der Abstieg der Königsblauen dazu – er ist einfaches Mitglied bei dem Verein. „Das ist natürlich bitter“, sagt er. „Doch die Pandemie ist schlimmer.“ Für Schalke gebe es wenigstens eine Perspektive in der zweiten Liga. „Die gibt es bei Corona für uns nicht.“

Wenn es der Gesundheitszustand zulässt, will er noch zehn Jahre weitermachen. „Ich habe eine Nachfolgerin im Auge“, erzählt Peter Wendt. „Und wenn die es nicht machen will… – dann ist das Fliegenpils eben zu.“ Sorgen um seine Rente macht er sich jedenfalls nicht.

„Wir sind hier zum Kämpfen geboren“: Thomas Wesselborg. Foto: André Przybyl

In der Destille wird Geburtstag gefeiert. „Meine Hildi wird heute drei Jahre alt“, sagt Thomas Wesselborg. „Ich muss noch eine Torte für sie backen.“ Hildi ist eine schlanke Hündin mit braunem Fell, die derweil in ihrem Körbchen liegt und hechelt.

Seit 35 Jahren führt Wesselborg die Schalke-Kneipe, hat er einen „Auftrag“ – wie er es nennt. „Neben der Pandemie dominiert hier zurzeit der Schalker Alltag“, erzählt er und verschränkt die Arme vor der Brust. „Obwohl das mit Alltag nichts zu tun hat – es ist beschämend.“ Trotz des Abstiegs ist für ihn Corona das bestimmende Thema. „Wir drehen uns im Kreis“, sagt er. „Durch die Pandemie können wir unser Leid nicht teilen, nicht zusammen singen oder wütend sein.“ Das macht ihn traurig.

„Zum Kämpfen geboren“

„Es wird immer schwieriger sich aufzurichten, weiterzudenken und vor allem auch weiterzumachen…“ Seine Stimme bricht. Er hat schon daran gedacht, aufzugeben – „selbstverständlich“. „Ich war fest der Überzeugung, dass wir Mitte April zumindest draußen öffnen können“, erzählt er. „Doch kurz vor Ostern stiegen die Zahlen dann wieder sprunghaft an…“ Er überlegt, sich arbeitslos zu melden – oder anderweitig unterzukommen. „Wenn die Bundeswehr dem Gesundheitsamt helfen kann, die Corona-Fälle nachzuverfolgen, warum nicht auch ich?“ Doch er kann nicht von dem lassen, was er sich aufgebaut hat. „Wir sind hier zum Kämpfen geboren.“

Die Entscheidungen der Politik kann er nicht mehr nachvollziehen. „Ich würde mich freuen, wenn wir mal miteinbezogen würden.“ Ihm fehlt ebenfalls eine klare Perspektive. „Wir Gastronomen haben bewiesen, dass wir unter den gegebenen Hygieneregeln arbeiten können und auch wollen“, erklärt er. „Unsere Zahlen waren astrein – in jeder Corona-Statistik tauchen wir weit hinten auf.“ Ihm ist zumindest kein Corona-Fall bekannt, der in der Buerschen Gastronomie hätte nachverfolgt werden müssen.

„Eckpfeiler der Gesellschaft“

Selbst wenn Alkohol getrunken wird, ist es seiner Meinung nach möglich, die Regeln einzuhalten. „Ich habe schließlich eine Fürsorgepflicht“, führt er näher aus. „Es geht auch darum, die Leute zu schulen.“ Wie ein Oberlehrer kommt er sich im vergangenen Sommer vor, wenn er seine Gäste drauf hinweist: „Ihr sitzt zu nah zusammen.“ Für ihn ist die Gastronomie ein Eckpfeiler der Gesellschaft. „Wir sind mehr als relevant“, sagt er. „Doch bei einer Inzidenz von 250 müssen wir gar nicht über Öffnungsmodelle diskutieren – da fehlen mir die Argumente.“

Dann steht ein Gast vor der Tür. „Ich muss den Stielmus verkaufen“, sagt Wesselborg und verschwindet in die Küche. Mit dem Verkauf von Speisen an Thommis Büdchen – der Destille to go – versucht er, wenigstens etwas Geld zu verdienen. „So, Tachchen, der Stielmus“, tönt es kurz darauf aus der Küche. „Ich hab doch nur auf dich gewartet.“ Dazu gibt es Frikadellen. „Und auch meine Wildschwein-Mettwurst darfst du mal probieren.“

André Przybyl