MiR zwischen Frustration und Hoffnung
Corona: MiR zwischen Frustration und Hoffnung
MiR-Generalintendant Michael Schulz über ein Jahr der ständigen Proben in der Corona-Pandemie.
Es ist ein deutlich vernehmbares Knacksen, ein Raunen. Womöglich eine Frauenstimme. Es ist klar, dass da jemand spricht. Eine Lautsprecher-Durchsage im Musiktheater im Revier (MiR), die die gerade erst begonnene Videokonferenz mit Intendant Michael Schulz unterbricht. Im Haus wird das Puppenmusical Avenue Q geprobt. Jetzt ist Lüftungspause. Alltag in der Pandemie. Aber vom Alltag ist das freilich weit entfernt.
„Das macht einen unwahrscheinlich mürbe“
Die Proben im MiR laufen weiter, sodass das Theater direkt spielfähig ist, wenn Vorstellungen wieder erlaubt werden. Die Künstlerinnen und Künstler können es kaum erwarten, endlich wieder Publikum im Zuschauerraum begrüßen zu dürfen und haben in den letzten Wochen und Monaten ein buntes Programm einstudiert. Ein Jahr Pandemie – was das für ihn und sein Haus bedeutet? Der Intendant lässt daran keinen Zweifel: „Natürlich geht es mir nicht gut damit, was die Ausübung unserer Berufes angeht. Das zerrt schon an einem und macht unwahrscheinlich mürbe.” Die Frustration ist groß. Aber Schulz möchte auch nicht den Eindruck vermitteln, so gehe es nur Theaterschaffenden. „Es geht ja fast allen so.“
Über sich selbst sagt Schulz, er habe in der Corona-Pandemie „wahnsinnig viel zu tun“. Mehr noch als sonst. Da ist die Vielzahl an Verordnungen und Vorgaben, die sich immer wieder ändern und teilweise widersprechen. „Viele Dinge, die mit meinem eigentlichen Berufsfeld wirklich gar nichts zu tun haben“, so der Intendant. Fast permanent gilt es für Schulz und sein Team, die Planung des Hauses nicht nur anzugleichen, sondern auch wieder komplett über den Haufen zu werfen. „Wir haben inzwischen schon die 17. Disposition in dieser Spielzeit“, betont Schulz. Also im Schnitt alle 14 Tage gibt es eine neue Spiel- und Probenordnung. Und hinzu kommt die Zukunft, die nächste Spielzeit. Auch die will ja geplant sein. Aber was heißt das? In dieser Zeit.
Künstler lebt auch von seinem Publikum
Derweil liegen der künstlerische und technische Bereich am MiR weitgehend brach. Hier geht es auch um die Planbarkeit, in mehrfacher Hinsicht um die künstlerische Perspektive. „Wir arbeiten immer an Produktionen, von denen wir hoffen, dass wir sie demnächst zeigen und rausbringen können. Aber ein Theater steuert immer auf ein Ziel hin, nämlich die Premiere.“ Der Künstler lebt auch von seinem Publikum. Und dieses beständige Produzieren ohne etwas präsentieren zu können sei anstrengender, „als sechs Woche fokussiert an einer Produktion zu arbeiten und sie dann zu einer Premiere zu bringen“.
Einerseits. Andererseits ist da dieses ständige Umdisponieren von Vorstellungen. Es muss ja mal besser werden. „Das ist ja ein Zweckoptimismus“, sagt Schulz. Vorstellungen wurden schon von November auf April verschoben, dann vom April auf Mai … Die ersten Theater im Land haben bereits das Ende ihrer Spielzeit beschlossen. Nun zeichnet sich sogar ab, dass auch mit einer Open-Air-Saison im Sommer wohl nicht fest zu rechnen ist. Vielleicht ab August? „Für viele Künstler war es eine Hoffnung, im Sommer zu singen und zu spielen.“ Auch hier: neue Enttäuschungen.
„Für Tänzer ist es eine Katastrophe“
Der Opernchor ist im Grunde zum Nichtstun verdammt. Viele Menschen, die in einem Raum proben, singen. Das geht nicht. Dabei müssen Sänger mit ihrer Stimme arbeiten, wie Sportler mit ihrem Körper. Schulz weiß: „Man kann noch so diszipliniert sein. Wenn es dafür keine Perspektive gibt, lässt auch die Energie nach, sich darum zu kümmern. Auch, gerade auch, für Tänzer ist es eine Katastrophe, wenn sie eine Woche nicht arbeiten können.” Deswegen hat das MiR seinen Tänzern immer die Möglichkeit gegeben, sich in den Sälen des Hauses mit Eigentraining fit zu halten. Er spüre bei vielen Künstlern „eine große Stärke, eine Resilienz“. Doch manche seien dünnhäutig geworden. Schulz denkt da an die Kollegen aus Brasilien oder Südafrika, die sich auch Sorgen um ihre Familien machen.
„Und dann noch die Frage, ob wir wirklich im August mit einer Spielzeit beginnen können, die dann – immer noch unter Corona-Bedingungen – geplant und stattfinden soll“, sagt Schulz und schiebt mit einer kurzen Pause hinterher: „Wird das möglich sein? Oder geht es vielleicht in den Oktober? Dann sind wir ein Jahr komplett geschlossen.“ Mehr als eineinhalb Jahre lang hätte sein Haus dann keine Möglichkeit gehabt „uns vollumfänglich zu zeigen.“
Schulz: „Es fehlt die Energie, die vom Künstler ausgeht“
Künstler müssen sich zeigen. Sie brauchen ihr Publikum. Online-Produktionen seien dafür kein Ersatz, denn es fehlt der direkte Kontakt. „Da fehlt es, die Temperatur des Publikums zu spüren und umgekehrt fehlt dem Publikum die Energie, die vom Künstler ausgeht. Das ist hart“, sagt Schulz. Dennoch seien Online-Produktionen eine Option, mit der das MiR demnächst auch wieder an die Öffentlichkeit gehen wird. Schulz ist „kein Fan des abgefilmten Theaters“. Das analoge Erlebnis sei so nicht herzustellen. Umso wichtiger war ihm und seinem Team, dass bei den digitalen Formaten die Qualität stimmt. „Dafür haben wir uns ein halbes Jahr Zeit genommen, um das zu entwickeln“, sagt der Intendant.
Die Sketch-Oper Hin- und Her von Paul Hindemith wurde eigens als Online-Format erarbeitet. Das Puppenmusical Avenue Q wird nächste Woche digital fertiggestellt, dann folgt die Händel-Oper Julius Cäsar. Die Tanzstück Notre-Dame ist bereits abgedreht. In der nächsten Spielzeit wird das MiR viele Produktion nachholen, verspricht Schulz. Aber es gibt auch Produktionen, die abgespielt sind, obwohl sie nur zu wenigen Aufführungen kamen. „Das ist schade, aber lässt sich nicht ändern.“ Die Proben gehen weiter. Die Premiere bleibt das Ziel.