Zentraldeponie Emscherbruch: Abfall ohne Ende?
Die Diskussionen um die Zentraldeponie Emscherbruch ebben nicht ab. Politische Parteien und Anwohner fordern das Ende der Mülldeponie. Doch Mitte Januar hat die Bezirksregierung Münster genehmigt, vorzeitig mit den Arbeiten für eine geplante Erweiterung zu beginnen.
Nach dem jüngsten Wintereinbruch fuhr Hans-Peter Jäckel durch sein Wohnviertel. „Nach zwei Tagen war der Schnee in der Fahrbahnmitte nicht weiß oder grau – er war schwarz“, berichtet der Rentner. Dafür macht er die Zentraldeponie Emscherbruch (ZDE) verantwortlich.
Staubwolke bei Trockenheit
Seit rund 30 Jahren wohnt Jäckel in Herne in unmittelbarer Nachbarschaft zur Deponie. „Wenn es trocken ist, weht hier eine gewaltige Staubwolke herüber“, sagt er. „Die Menschen haben den Staub in ihren Wohnungen und Gärten.“ Jäckel ist Gründungsmitglied und Sprecher der Bürgerinitiative „Uns stinkt’s“, die sich dafür einsetzt, dass die ZDE geschlossen wird. Mitte 2018 hat sich die Initiative gegründet, nachdem es fünf Mal innerhalb eines Jahres auf dem Gelände gebrannt hat.
Heute zählt die Initiative laut Jäckel 152 eingetragene Mitglieder und über 1.000 Unterstützer. „Der harte Kern, der die meiste Arbeit macht, besteht aus 15 Personen“, erzählt der Sprecher. „Wir stellen Anträge an die Bezirksregierung, bereiten Aktionen vor, werten Unterlagen aus und betreuen die Homepage.“ Rund zwei Stunden täglich fließen so in die Arbeit der Initiative.
480 LKW pro Tag
Nicht nur der Feinstaub würde den Anwohnern zu schaffen machen. „Pro Tag fahren hier 480 LKW durch“, führt Hans-Peter Jäckel weiter aus. „Das bedeutet nicht nur Lärm, sondern kann auch gefährlich werden, falls ein Fahrer mal eine rote Ampel übersieht.“ Eine Lärmbelästigung sei außerdem die sogenannte Schlacke-Aufbereitungsanlage. „Diese läuft von Montagsmorgens 6 Uhr bis Sonntagsabends 22 Uhr.“
Und dann seien da noch die Krebserkrankungen, die in der Nachbarschaft gehäuft auftreten würden. „Fast jeder zweite Haushalt hat hier einen Krebstoten zu beklagen“, sagt Jäckel. „Meine frühere Frau habe ich ebenfalls an die Krankheit verloren.“ Die Sorge, dass Gifte in der Luft, im Boden oder im Wasser seien, sei ein ständiger Begleiter. „Swimmingpools stellen die Leute in ihren Gärten schon lange nicht mehr auf.“ Die ZDE könne er dafür aber nicht verantwortlich machen – es fehlten die Beweise.
Keine erheblichen Nachteile laut AGR
Bei der Bezirksregierung würde die Initiative gegen „Watte-Mauern“ laufen. „Münster gibt vieles zu, ist aber nicht dazu bereit, zum Beispiel ein Feinstaub-Gutachten durchzuführen“, erklärt Jäckel. Die Initiative würde immer nur zu hören bekommen, dass alles in Ordnung sei und die ZDE den Vorschriften entsprechend arbeiten würde.
„Sowohl in Genehmigungsverfahren als auch im Rahmen der behördlichen Überwachung wurde auf der Grundlage anerkannter Fachgutachten sowie durch Prüfung der jeweiligen Fachbehörden durchgängig festgestellt, dass keine erheblichen Nachteile für die Umweltsituation vorliegen“, erklärt die Abfallentsorgungs-Gesellschaft Ruhrgebiet (AGR) schriftlich auf Nachfrage von Hallo Buer. Die AGR betreibt die Deponie. Es würden keine schädlichen Veränderungen des Grundwassers vorliegen. Sämtliche gesundheitsrelevanten Immissionen wie zum Beispiel Staub würden laut AGR „deutlich bis weit unterhalb der gesetzlichen Grenzwerte“ liegen.
SPD fordert Schließung
Kritische Töne zur ZDE kommen auch aus der Lokalpolitik. „Unsere Haltung ist klar“, erklärt Manfred Leichtweis (SPD), Vorsitzender des Gelsenkirchener Ausschusses für Umwelt, Nachhaltigkeit und Klimaschutz. „Die Deponie soll geschlossen und die Erweiterung nicht genehmigt werden.“ Dem pflichtet auch Wilfried Heidl, Bezirksbürgermeister von Gelsenkirchen-Ost, bei. „Nach 50 Jahren wurden die Menschen genug mit Dreck und Feinstaub belastet“, sagt der SPD-Politiker.
Jedoch befürchten beide, dass die Bezirksregierung der AGR genehmigen wird, das Areal zu erweitern. „Wenn die Genehmigung erteilt werden sollte, werden wir rechtliche Schritte prüfen“, stellt Leichtweis in Aussicht.
Kapazität könne schon früher erreicht werden
Spätestens 2031 solle die Zentraldeponie jedoch geschlossen werden. Dann seien die Kapazitätsgrenzen erreicht. „Das haben die SPD-Fraktionen aus Gelsenkirchen und Herne bei einem Gespräch mit der AGR im August 2019 erfahren“, führt Manfred Leichtweis weiter aus. Diese Aussage wollen die Genossen nun schriftlich haben.
Die AGR bestätigt gegenüber Hallo Buer den Zeithorizont. „Die zu erwartende zeitliche Limitierung bis 2030/31 ergibt sich aus den im Planfeststellungsantrag beantragten Schüttmengen in Verbindung mit den Anliefermengen der letzten Jahre“, erklärt das Unternehmen. „Die Schaffung weiterer Kapazitäten sind auf der ZDE danach nicht mehr möglich.“ Die Kapazität könne auch schon früher erschöpft sein.
Motorcross-Fahrer gelangen auf das Gelände
Den Prozess bis zum endgültigen Aus wollen die Sozialdemokraten begleiten und haben jüngst einen Fünf-Punkte-Plan vorgelegt. „Wir fordern spätestens für 2030 ein klares und verbindliches Ausstiegsdatum sowie verbindliche Kapazitätsgrenzen der noch ausstehenden Mengen für die Deponie“, sagt Anna-Lena Karl, umweltpolitische Sprecherin der SPD-Ratsfraktion.
Ferner soll das Sicherheitskonzept überarbeitet werden, damit Unbefugte das Gelände nicht mehr betreten können. Drei Mal konnten Motorcross-Fahrer im November vergangenen Jahres auf das Areal gelangen. Diese Tatsache sei der AGR bekannt und sie sei auch zeitnah bei der Polizei zur Anzeige gebracht worden. „Betriebsseitig wurde der Bereich, in dem die Motorradfahrer widerrechtlich eingedrungen waren, mit einem durch Erdpflöcke gesicherten Bauzaun abgesperrt“, erklärt die AGR. „Seit den ersten Hinweisen auf das Eindringen auf die Deponie durch Unbefugte haben wir die Kontrollen an der oben beschriebenen, zusätzlich gesicherten Zugangsstelle verstärkt.“
Erholungsgebiet nach Ende der Deponie
Eine weitere Forderung der Sozialdemokraten: „In den kommenden zwei Jahren sollen die Bezirksregierung Münster, die NRW-Landesregierung und der Regionalverband Ruhr (RVR) nach alternativen Deponie-Flächen suchen.“
Nach dem Ende der Deponie soll auf dem Gelände ein Erholungsgebiet entstehen. Eine Analyse soll im Vorfeld die Potentiale für mögliche Freizeitangebote untersuchen. „In den 1970er-Jahren gab es hier schon mal eine Sommerrodelbahn“, erklärt Manfred Leichtweis. „So etwas könnten wir uns erneut vorstellen.“ Zuvor soll das Gelände renaturiert und für die Folgenutzung aufbereitet werden. „Land und AGR müssen sich an den Kosten beteiligen“, fordert Leichtweis.
Ende im Koalitionsvertrag festgehalten
Die AGR erklärt, dass nach dem Ende der Deponie „der Abfallkörper entsprechend der Deponieverordnung durch eine Oberflächenabdichtung abgedichtet“ werde. „Danach erfolgt die vorgeschriebene Rekultivierung.“ Maßnahmen wie zum Beispiel die Sickerwasser-Fassung und -Reinigung würden fortgesetzt, ebenso die Grundwasser-Überwachung über das Grundwasser-Messstellennetz. Dafür habe die AGR Rücklagen gebildet.
Die SPD-Fraktion liege mit ihren Forderungen auf einer Linie mit allen Parteien im Gelsenkirchener Rat. „Zumindest mit den demokratischen“, ergänzt Leichtweis. Das Ende der Zentraldeponie sei auch im Koalitionsvertrag mit der CDU festgehalten.
„Grenze des Zumutbaren erreicht“
Ebenfalls kritisch äußert sich der Koalitionspartner. „Wir können die Verunsicherung der Anwohnerinnen und Anwohner absolut nachvollziehen“, erklärt Birgit Lucht, Sprecherin der CDU-Fraktion im Umweltausschuss, in einer Pressemitteilung. „Das unendliche Hick-Hack über eine Deponie-Erweiterung verunsichert die betroffenen Menschen zusehends.“
Alle vor Ort würden endlich Klarheit darüber haben wollen, wie ein verbindliches Ausstiegs-Szenario aussehen solle. „Die jetzige Verunsicherung und der Streit über das vermeintliche Laufzeitende nehmen immer weiter zu“, führt Lucht weiter aus. „Und ich glaube, die Grenze des Zumutbaren in Sachen schlechter Informationspolitik ist langsam aber sicher überschritten.“ Sie hoffe, „dass wir hier endlich klare Aussagen bekommen, wann die Deponie definitiv und endgültig geschlossen wird und wie die Entsorgungssicherheit in Zukunft ohne die Deponie Emscherbruch sichergestellt wird.“
„Genug Kapazitäten bis 2030“
Für die Grünen stelle sich die Frage, ob die geplanten Erweiterungsmaßnahmen notwendig seien. „Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW sah bis zuletzt genug Kapazitäten bis zum Jahr 2030 und darüber hinaus“, erklärt die Partei in einer Pressemeldung.
Dem widerspricht die AGR. „Es gibt im Regierungsbezirk Münster kein ausreichendes Deponie-Volumen, mit dem die gesetzlich vorgeschriebene Entsorgungssicherheit von mindestens zehn Jahren sichergestellt werden könnte“, erklärt das Unternehmen. „Das Volumen für Abfälle der Deponie-Klasse I ist zurzeit am Standort der ZDE schon nicht mehr vorhanden.“ Ausgehend von den durchschnittlichen Anlieferungen der letzten fünf Jahre seien die vorhandenen Restvolumina im Bereich der Deponie-Klassen II und III spätestens im zweiten Halbjahr 2022 verfüllt.
„Intransparenz inakzeptabel“
Die Grünen kritisieren zudem den schnellen Beginn der Arbeiten, nachdem der AGR genehmigt wurde, vorzeitig mit den Arbeiten zur Erweiterung zu beginnen. Sie sehen als Grund mögliche Absprachen zwischen der AGR und der Bezirksregierung. „Die Arbeiten hätten noch bis zum 1. März verschoben werden können, es drängt sich der Eindruck auf, dass die Terminierung nicht zufällig Anfang des Jahres gesetzt worden ist“, meinen die Grünen. „Durch den schnellen Start der Arbeiten am Emscherbruch wurden Tatsachen geschaffen, die nun nicht mehr umkehrbar sind“, bemerkt Thomas Reinke, Fraktionsvorsitzender der Grünen in Herne. „Es ist in Frage zu stellen, wie es möglich war, so kurz nach der Genehmigung mit dem Bäume-Fällen zu beginnen.“
Da die AGR eine 100-prozentige Tochter des Regionalverbandes Ruhr ist, will nun auch die Grünen-Fraktion im Ruhrparlament tätig werden. „Wir werden das Thema im Umwelt- und im Planungsausschuss ansprechen. Eine derartige Intransparenz seitens der Bezirksregierung und der AGR ist inakzeptabel“, erklärt Fraktionsvorsitzende Birgit Beisheim. Alle weiteren Arbeiten müssten dringend eingestellt werden, bis alle offenen Fragen geklärt seien.
Von Kommunal-Politik im Stich gelassen
Trotz Kritik an der ZDE fühlen sich Hans-Peter Jäckel und seine Initiative von der Kommunal-Politik im Stich gelassen. „Die Städte sagen zwar immer, dass sie gegen die Deponie sind“, erklärt er. „Aber wenn es konkret wird, passiert nichts.“ Auch dem Fünf-Punkte-Plan der SPD steht er kritisch gegenüber. „Demnach würde die Deponie noch zehn weitere Jahre in Betrieb bleiben“, sagt er. „Das ist zu lang – die Leute hier interessiert, was morgen passiert.“ Er und seine Mitstreiter wollen weiter kämpfen. „Wir bereiten schon mal eine Klage gegen die Genehmigung vor, die ZDE zu erweitern“, berichtet Jäckel. „Dafür sammeln wir nun Spenden.“